Tischlein deck dich hat im letzten Jahr 8530 Tonnen Lebensmittel vor dem Verlust gerettet und an armutsbetroffene Menschen verteilt. Dabei kann die Foodsave-Organisation auf ein Netzwerk von mehr als 1000 Produktspendern zählen. In diesem Jahr sind bis zu zehn neue Abgabestellen geplant. Alex Stähli, Geschäftsführer von Tischlein deck dich, stellt hier die wichtige Lebensmittelhilfe vor.

Tischlein deck dich ist 25 Jahre alt. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Alex Stähli: Da gibt es einige Sachen. Zunächst ist Mut zum Ausprobieren und zum Neuen wichtig für einen gemeinnützigen, rein spendenfinanzierten Verein wie unseren. Wir waren 1999 die erste karitative Foodsave-Organisation der Schweiz. Da braucht es eine gewisse Beharrlichkeit. Unser Motto ist: Dranbleiben. Wir geben uns nicht mit einer abweisenden Antwort zufrieden. Wir bohren nach und wollen verstehen und wenn immer möglich gute Ideen verwirklichen. Und schliesslich konsequenter Fokus auf unsere Aufgaben und Ziele: Lebensmittel vor dem Verlust retten und armutsbetroffene Menschen unterstützen mit den geretteten Lebensmitteln. Wir wollen uns nicht in die Breite entwickeln, sondern in die Tiefe. Dazu stärken wir unsere Kernkompetenzen: Transport- und Lagerlogistik in der Lebensmittelbranche sowie Freiwilligenengagement.
Wie viel Tonnen Nahrungsmittel haben Sie dieses Jahr verteilt?
Im Jahr 2024 hat Tischlein deck dich ein signifikantes Wachstum verzeichnet: 8530 Tonnen Lebensmittel (+1410 Tonnen oder +20 Prozent gegenüber 2023) wurden vor dem Verlust gerettet und an armutsbetroffene Menschen verteilt. Der Warenwert der im 2024 verteilten Lebensmittel entspricht 55’445’000 Franken.

Woher stammen Ihre Lebensmittel?
Wir können auf ein Netzwerk von mehr als 1000 Produktspendern zählen. Ein grosser Teil kommt aus dem Detailhandel, der uns nicht verkaufte Lebensmittel von einwandfreier Qualität zur Verfügung stellt. Auch aus der verarbeitenden Lebensmittelindustrie erhalten wir hochwertige Produkte, beispielsweise aus Überproduktion oder weil sich in der Beschriftung einer Verpackung ein Fehler eingeschlichen hat. Daneben gibt es kleinere lokale Produktspender wie Bäckereien, Quartierläden oder Bauernbetriebe.
Wer sind die Kundinnen und Kunden von Tischlein deck dich?
Das ist sehr unterschiedlich: das sind zum Beispiel Menschen, deren Einkommen nicht ausreicht, Alleinerziehende, Pensionierte, Migrantinnen und Migranten sowie Menschen, die Sozialhilfe oder Invalidenrente beziehen. Um Lebensmittel zu bekommen, wird eine Tischlein-deck-dich-Kundenkarte benötigt, welche von regionalen Sozialfachstellen nach Prüfung der Lebensverhältnisse ausgestellt wird.
Wie läuft eine Lebensmittelabgabe ab?
Eine Tischlein deck dich Abgabestelle funktioniert wie ein temporärer Laden, der wöchentlich zur gleichen Zeit am gleichen Ort geöffnet hat. Dafür benutzen wir Räumlichkeiten, die uns kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die Lebensmittelabgabe wird von lokalen Freiwilligen-Teams vorbereitet und organisiert. Die Kundinnen und Kunden bezahlen beim «Einkauf» der Lebensmittel jeweils einen symbolischen Franken und erhalten je nach Haushaltsgrösse eine entsprechende Menge gerettete Lebensmittel.
Welche Lebensmittelspenden werden besonders geschätzt?
Tischlein deck dich kauft keine Produkte, sondern verteilt, was an Produktespenden gesammelt werden kann. Das Angebot ersetzt also keinen Wocheneinkauf, hilft aber, das knappe Haushaltsbudget zu entlasten. Früchte und Gemüse, Milchprodukte, Backwaren oder Getränke sind zentrale Bestandteile unserer Lebensmittelhilfe. Geschätzt werden sicher auch Süssigkeiten, Chips oder Snacks aus unserem Angebot. Genuss und Freude gehört beim Essen einfach dazu.

Tischlein deck dich scheint eine immer grössere Nachfrage zu haben. Auf was führen Sie dies zurück?
Armut ist auch in der Schweiz ein wichtiges Thema. In unserem Land leben 8,2 Prozent der Bevölkerung in Armut, laut Bundesamt für Statistik ist mehr als jede sechste Person armutsgefährdet – das sind insgesamt rund 1,34 Millionen Menschen. Die steigenden Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren haben die Situation verschärft. Wir versuchen, mit unserer Arbeit einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten und die Not von armutsbetroffenen Menschen zu lindern.
Tischlein deck dich hat kürzlich in Entfelden die 161. Abgabestelle eröffnet. Wieso gerade in Entfelden?
Für eine neue Abgabestelle müssen einige Faktoren gegeben sein. Wir haben Ende 2023 in Staufen bei Lenzburg ein neues Logistiklager eröffnet und damit neue Kapazitäten für die Region geschaffen. Zudem ist die Grösse des Einzugsgebiets und die Nachbarschaft bereits bestehender Abgabestellen zu beachten. Wie bereits erwähnt, brauchen wir eine passende Räumlichkeit, die wir kostenlos nutzen können. Und nicht zuletzt ist es entscheidend, ob wir genügend motivierte Freiwillige und ein Leitungsteam finden, die sich für einen wöchentlichen Einsatz engagieren.
Wie viel Abgabestellen planen Sie für das nächste Jahr?
Wie gesagt, muss vieles zusammenpassen, damit wir eine neue Abgabestelle eröffnen können. Deshalb ist es schwierig, diese Zahl präzise vorauszusagen. Geplant sind bis zu zehn neue Abgabestellen im 2025.
Wo hat es am meisten Abgabestellen?
Unsere Abgabestellen sind in der ganzen Schweiz verteilt – in urbanen Ballungszentren ebenso wie in ländlichen Gebieten. In den grossen Städten betreiben wir teilweise mehrere Abgabestellen. Wir leisten unsere Lebensmittelhilfe auch in Bergregionen und an kleineren Orten. Auf unserer Website gibt es eine Schweizer Karte, auf der alle Abgabestellen zu finden sind.
Welche weiteren Dienstleistungen wie zum Beispiel «Grande Festa» bietet Tischlein deck dich sonst noch an?
Das Projekt Grande Festa ermöglicht uns, tonnenweise Lebensmittel zu retten, welche vor den Feiertagen nicht verkauft wurden. Die Idee stammt ursprünglich von Coop, um die grossen Foodwaste-Mengen um die Festtage zu reduzieren. Nun haben wir das Projekt erweitert. Heute machen wir Filialabholungen bei diversen zusätzlichen Detailhändlern wie Migros, Denner, Lidl, Aldi, Volg und weiteren lokalen Betrieben. Es findet an Ostern, Pfingsten und Weihnachten statt. Mit Grande Festa arbeiten wir fokussiert an unseren beiden Aufgaben: Lebensmittelrettung und Lebensmittelhilfe. Wie bereits erwähnt: wir beabsichtigen nicht, uns in neue Bereiche zu bewegen. Was wir machen, wollen wir besser machen.
Wie wird Tischlein deck dich finanziert?
Der gemeinnützige Verein Tischlein deck dich ist rein spendenfinanziert. Einen grossen Teil unseres Budgets decken wir mit den Beiträgen von Privatspenderinnen und -spendern. Daneben erhalten wir wichtige finanzielle Unterstützung von Stiftungen, Firmen, kirchlichen Organisationen und Gemeinden.
Wie viele Freiwillige beteiligen sich gesamtschweizerisch bei Tischlein deck dich und wie rekrutieren Sie die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer?
Gesamtschweizerisch sind das mehr als 4500 freiwillige Helferinnen und Helfer, die sich bei uns engagieren, vor allem an den Abgabestellen, aber auch in den Logistiklagern beim Rüsten von Früchten und Gemüse und Vorbereiten zur Abgabe. Daneben helfen uns auch Freiwillige als Fahrer bei der Auslieferung der Lebensmittel. Viele haben von Tischlein deck dich aus ihrem persönlichen Umfeld erfahren, zum Beispiel von einer Bekannten, die bereits an einer Abgabestelle mithilft. Wir rekrutieren aber auch neue Helferinnen und Helfer, via Social Media oder Anzeigen auf der Plattform www.benevol-jobs.ch. Gerade für das Projekt Grande Festa sind wir froh um jede neue Hand, die mithilft. Wer Interesse hat, ist herzlich eingeladen, sich bei uns zu melden.
Was wünschen Sie sich für Tischlein deck dich für 2025?
Tischlein deck dich ist Teil eines weitverzweigten Netzwerks von zahlreichen Organisationen, Firmen und Menschen, die mit uns zusammenarbeiten und uns unterstützen. Ich würde mir wünschen, dass wir nach dem Modell der Schwarmintelligenz diese Zusammenarbeit noch vertiefen und verbessern können. Dass wir zusammen mutige und ambitionierte Lösungen finden. Dass wir insbesondere auch das noch vorhandene Potenzial für mehr Lebensmittelrettung im Detailhandel besser ausschöpfen können. Wir kommen mit so vielen Menschen in Kontakt, die etwas Gutes bewirken wollen. Diese Energie zu bündeln und nutzbar zu machen in unserem Aufgabenbereich Lebensmittelrettung und Lebensmittelhilfe – das wünsche ich mir für das Jahr 2025.
Interview: Corinne Remund
Online-Spenden:
tischlein.payrexx.com